Australopithecus



Australopithecus

Australopithecus sediba,
Kopf des Holotypus (Original)

Zeitliches Auftreten
Pliozän
4,2 bis 2 Mio. Jahre
Fundorte
  • Afrika
Systematik
Unterordnung: Trockennasenaffen (Haplorhini)
Teilordnung: Altweltaffen (Catarrhini)
Überfamilie: Menschenartige (Hominoidea)
Familie: Menschenaffen (Hominidae)
Tribus: Hominini
Gattung: Australopithecus
Wissenschaftlicher Name
Australopithecus
Dart, 1925

Australopithecus ist der Name einer nur aus Afrika bekannten Gattung von ausschließlich fossilen Arten in der Gruppe der Australopithecina. Die Gattung Australopithecus wird der Tribus der Hominini zugeordnet, der auch die Gattung Homo einschließlich des modernen Menschen angehört.

Australopithecus ist ein lateinisch-griechisches Kunstwort (mit lateinischer Endung), zusammengesetzt aus lat. australis („südlich“, wegen des Fundortes im südafrikanischen Ort Taung) und griech. πίθηκος, altgr. ausgesprochen píthēkos („Affe“). Diese Bezeichnung wurde 1925 von Raymond Dart gewählt, dem Verfasser der wissenschaftlichen Beschreibung des ersten entdeckten Exemplars, des Kindes von Taung.

Beschreibung

Die Arten der Gattung Australopithecus werden vor allem anhand der unterschiedlich geformten Kauflächen ihrer Zähne, der Ausformung ihrer Jochbögen sowie der Ansatzstellen eines Kaumuskels (des Musculus temporalis) gegeneinander und von den Vorfahren der heutigen Schimpansen abgegrenzt. Weitere Unterscheidungsmerkmale ergeben sich u.a. aus dem Bau der Wirbelsäule, des Beckens und der Hüftgelenke.

Das Gebiss weist – wie das des Menschen – kein Oberkiefer-Diastema auf. Es besteht also in der Regel keine Zahnlücke zwischen dem seitlichen Schneidezahn und dem Eckzahn, was wiederum anzeigt, dass die Eckzähne des Unterkiefers – anders als beispielsweise bei den männlichen nicht-menschlichen Menschenaffen – nicht dolchartig verlängert waren.

Gehirnvolumen und Körpergröße

Original des Schädels von Mrs. Ples (Australopithecus africanus)

Das Gehirnvolumen der Australopithecus-Arten war mit etwa 400 bis 550 cm3 ein wenig größer als das eines Schimpansen oder Bonobos,[1] jedoch kleiner als bei den ältesten Vertretern der Gattung Homo, deren Gehirnvolumen mit 600 bis 800 cm3 angegeben wird.[2]

Die Körpergröße fossiler Arten kann selbst anhand intakt gefundener, langer Beinknochen nur grob geschätzt werden; deshalb variieren die Angaben hierzu in der Fachliteratur erheblich zwischen ca. 1,00 m und 1,60 m. Für Australopithecus africanus werden in einem Übersichtsartikel beispielsweise – bei einem mutmaßlichen Körpergewicht von 30 bis 40 kg – 1,38 m für männliche und 1,15 m für weibliche Exemplare angegeben.[3] Damit waren die Australopithecinen so groß wie ein aufrecht stehender Schimpanse. Umstritten ist, wie ausgeprägt der Geschlechtsdimorphismus war; gelegentlich wird in der Fachliteratur argumentiert, dass unterschiedlich große Individuen womöglich zu unterschiedlichen Arten gehörten, die gleichzeitig im gleichen Gebiet lebten.

Der aufrechte Gang

Als gemeinsames Merkmal der Gattung Australopithecus galt in älteren Publikationen der aufrechte Gang. Diese Befähigung wurde abgeleitet von südafrikanischen Funden (Australopithecus africanus), von Fossilien aus Hadar (Australopithecus afarensis) sowie von den rund 3,5 Millionen Jahre alten bipeden Fußspuren aus Laetoli.

Doch 1991 hatte der israelische Paläoanthropologe Yoel Rak von der Universität Tel Aviv darauf hingewiesen, dass Australopithecus afarensis höchstwahrscheinlich eine „Fortbewegungsweise ganz eigener Art“ besaß.[4] Immer mehr paläontologische Funde haben die anfängliche Vermutung widerlegt, dass schon die frühen Vertreter der Hominini in offenen, mit modernen Steppen vergleichbaren Landschaften lebten („Savannen-Hypothese“). Begleitfunde der fossilen Knochen weisen durchweg auf einen Lebensraum hin, der vorwiegend aus lichten Wäldern und Galeriewäldern bestand. In diesem Lebensraum – so die neuere Deutung – dürfte die ursprüngliche Lebensweise der Menschenaffen noch beibehalten worden sein: ein häufiger Aufenthalt auf Bäumen, insbesondere zum Schlafen, und nur gelegentliches aufrechtes Gehen auf dem Boden. Die Auffassung, „dass die Australopithecinen hinsichtlich ihrer Lokomotionsweise weniger menschlich waren, als man zunächst vermutete“, hat sich weitgehend durchgesetzt.[5]

Werkzeuggebrauch

Inwieweit Australopithecus Werkzeuggebrauch über das Niveau von Schimpansen hinaus betrieb (vergl. Werkzeuggebrauch bei Tieren), ist noch nicht abschließend geklärt. Häufig wird der Gebrauch von bearbeiteten Steinwerkzeugen (Geröllgerät) sogar als vorrangiges Kriterium genannt, bestimmte Fossilfunde als Homo habilis zu bezeichnen und nicht als „Australopithecus habilis“ der Gattung Australopithecus zuzuordnen.

Australopithecus afarensis ist ungefähr 500.000 Jahre älter als die ältesten bekannten Werkzeuge, und auch für Australopithecus africanus sind keine gesicherten Werkzeugfunde belegt. Hingegen wurden im Zusammenhang mit Paranthropus-Fossilien sowohl Steinwerkzeuge vom Oldowan-Typ als auch Knochen mit abgenutzten Spitzen entdeckt, die möglicherweise zum Graben oder zum Angeln von Termiten dienten.[6] Da in den gleichen Schichten auch Homo habilis gefunden wurde, ist die Zuordnung aber ungesichert.

Systematik

Hypothese zur Evolution der Australopithecinen, wie sie aufgrund der gegenwärtigen Fundlage beispielsweise durch Friedemann Schrenk vertreten wird.

Die Gattung Australopithecus ist ein paraphyletisches Taxon, aus dem nach heutigem Kenntnisstand die Gattungen Paranthropus und Homo hervorgingen.

Allgemein anerkannt ist der Art-Status heute für Australopithecus anamensis, Australopithecus afarensis, Australopithecus africanus, Australopithecus garhi und Australopithecus sediba.[7] Die verwandtschaftliche Nähe der Arten zu einander und zu den Gattungen Paranthropus und Homo ist weitgehend ungeklärt.

Als sehr wahrscheinlich gilt jedoch, dass Australopithecus anamensis und Australopithecus afarensis zeitlich aufeinander folgende Schwester-Arten infolge Anagenese sind.[8] Dieser Deutung zufolge sind die anamensis-Funde vom Turkana-See (aus Kanapoi, Alter: rund 4,1 Millionen Jahre, ferner aus Allia Bay, Alter: rund 3,9 Millionen Jahre) sowie die afarensis-Funde aus Laetoli (rund 3,6 Mio. Jahre) und Hadar (3,3 Mio. Jahre und jünger) zeitlich aufeinander folgende Überreste von Populationen einer einzigen Entwicklungslinie.

„Grazile“ und „robuste“ Arten

Aus den bisher entdeckten Fossilfunden von Vertretern der Hominini aus der Zeit vor rund 2,5 Millionen Jahren lassen sich zwei unterschiedliche Formen der evolutionären Angepasstheit rekonstruieren, die heute meist als Antwort auf Klimaänderungen gedeutet werden [9] und einerseits zu den „robusten“, andererseits zu den „grazilen“ Australopithecinen führten. Diese Habitat-Theorie der Makroevolution wurde erstmals von Elisabeth Vrba ausgearbeitet. [10]

Das südliche Afrika wurde damals zunehmend trocken und kühl, weswegen die Wälder mit ihrer weichen Früchte- und Blätternahrung verschwanden. Stattdessen breiteten sich Savannen aus, die ein relativ hartes Nahrungsangebot zur Verfügung stellten (z. B. Gräser, Samen, Wurzeln). Die so genannten „robusten“ Australopithecinen – sie werden heute der Gattung Paranthropus zugeordnet – spezialisierten sich den Fossilfunden zufolge auf solche hartfaserigen Pflanzen, denn sie bildeten extrem kräftige Kaumuskeln und auf den Backenzähnen extrem vergrößerte Kauflächen aus; Paranthropus boisei wird daher gelegentlich auch als „Nussknacker-Mensch“ bezeichnet. Die „robusten“ Australopithecinen starben vor ca. 1 Million Jahren aus, weil sie nach einem neuerlichen Klimawandel hin zu gemäßigteren Temperaturen vermutlich der Nahrungskonkurrenz anderer Arten nicht mehr gewachsen waren:

„Am Beginn der Besiedelung neu entstandener Savannengebiete besaßen die robusten Australopithecinen durchaus Selektionsvorteile. Jedoch hatten sich vor ca. 1 Million Jahren in Afrika einerseits spezialisierte Pflanzenfresser unter den Großsäugern (zum Beispiel Schweine und Antilopen), andererseits effiziente, durch effektive Werkzeugbenutzung unterstützte Allesfresser unter den Hominiden etabliert. Die dadurch entstehende Nahrungskonkurrenz führte zum Aussterben der robusten Australopithecinen zu einer Zeit, als mit Homo erectus die Gattung Homo bereits ihren Siegeszug bis nach Asien und Europa angetreten hatte.“[11]

Die frühesten, der Gattung Homo zugeordneten Fossilien – genannt Homo rudolfensis und Homo habilis – gingen aus jenen Australopithecus-Arten hervor, die von den Paläoanthropologen zu den „grazilen“ Allesfresser-Arten gerechnet werden; ob die Stammesgeschichte direkt von Australopithecus afarensis zur Gattung Homo verlief (wie ein Teil der Forscher annimmt) oder von Australopithecus afarensis über Australopithecus africanus zu Homo (wie andere Forscher vermuten), ist allerdings unklar. Als zumindest sehr wahrscheinlich gilt jedoch, dass im Formenkreis der „grazilen“ Allesfresser-Arten – als Alternative zum muskulären Kauapparat der „robusten“ Australopithecinen – die Tradition des Werkzeuggebrauchs (die Oldowan-Kultur) entstand.[12]

Die Australopithecus-Arten im Überblick

Fossilien-Fundorte der Australopithecinen in Afrika

Einige Paläoanthropologen ordnen auch die Arten der Gattung Paranthropus als späte Vertreter von Australopithecus ein:

Umstritten ist ebenfalls die Zuordnung einiger Fossilien zur Gattung Kenyanthropus, da auch diese Fundstücke von vielen Forschern als bloße Variante der Gattung Australopithecus gedeutet werden.

Ferner wurde Ardipithecus ramidus von seinen Entdeckern 1994 zunächst als Australopithecus ramidus bezeichnet und erst später als Art der neu eingerichteten Gattung Ardipithecus ausgewiesen.

Schließlich wird Homo rudolfensis von einigen Forschern nicht als frühester Vertreter der Gattung Homo gedeutet, sondern als später Vertreter der Gattung Australopithecus und von diesen Forschern daher als Australopithecus rudolfensis bezeichnet – ein Zuordnungsproblem, das bei mutmaßlichen Übergangsformen nicht ungewöhnlich ist.

Siehe auch

Literatur

  • Yves Coppens: Lucys Knie - Die prähistorische Schöne und die Geschichte der Paläontologie. München 2002 (Dt. Ausgabe)
  • Göran Burenhult et al.: Die ersten Menschen. Die Ursprünge des Menschen bis 10 000 vor Christus. Jahr-Verlag, Hamburg 2000, ISBN 3-8289-0741-5
  • Robert Foley: Menschen vor Homo sapiens. Warum und wie unsere Art sich durchsetzte. Jan Thorbecke Verlag, 2000, ISBN 3-7995-9084-6

Weblinks

Commons: Australopithecus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Steve Jones et. al.: The Cambridge Encyclopedia of Human Evolution. Cambridge University Press, 1992, S. 236
  2. Ulrich Welsch: Wie aus den ersten Primaten Homo wurde (1): Die Fossilgeschichte des Menschen. Biologie in unserer Zeit, 1/2007, S. 47
  3. Ulrich Welsch: Wie aus den ersten Primaten Homo wurde (1): Die Fossilgeschichte des Menschen, S. 46
  4. Yoel Rak: Lucy's pelvic anatomy: its role in bipedal gait. Journal of Human Evolution, Band 20, 1991, S. 283–290
  5. Winfried Henke, Hartmut Rothe: Stammesgeschichte des Menschen. Springer Verlag, 1998, ISBN 3-540-64831-3
  6. G. J. Sawyer, Viktor Deak: Der lange Weg zum Menschen. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2008, S. 39 (A. afarensis), S. 64 (A. africanus), S. 73 (P. robustus)
  7. Bernard Wood, Terry Harrison: The evolutionary context of the first hominins. In: Nature, Band 470, 2011, S. 350, doi:10.1038/nature09709
  8. William H. Kimbel et al.: Was Australopithecus anamensis ancestral to A. afarensis? A case of anagenesis in the hominin fossil record. In: Journal of Human Evolution, Band 51, Nr. 2, 2006, S. 134–152, doi:10.1016/j.jhevol.2006.02.003
  9. Friedemann Schrenk: Die Frühzeit des Menschen. Der Weg zu Homo sapiens. C. H. Beck, 1997, S. 61
  10. Elisabeth S. Vrba: The Pulse That Produced Us. Natural History, 5/1993, S. 47–51;Volltext
  11. Friedemann Schrenk: Die Frühzeit des Menschen, S. 62
  12. Friedemann Schrenk, Timothy Bromage: Der Hominiden-Korridor Südostafrikas. In: Spektrum der Wissenschaft, Nr. 8/2000, S. 51
  13. Berger LR, de Ruiter DJ, Churchill SE, Schmid P, Carlson KJ, Dirks PHGM, Kibii JM: Australopithecus sediba: A New Species of Homo-Like Australopith from South Africa. In: Science. 328. Jahrgang, 2010, S. 195–204, doi:10.1126/science.1184944.

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