Akutes Nierenversagen


Beim akuten Nierenversagen (ANV), auch akute Niereninsuffizienz, handelt es sich um eine plötzliche, innerhalb von Stunden bis Tagen einsetzende, prinzipiell rückbildungsfähige Verschlechterung der Nieren

funktion. Es kann nach vorheriger normaler Nierenfunktion (engl.: acute kidney injury) oder nach bereits chronisch eingeschränkter Nierenfunktion (ANV auf dem Boden einer chronischen Niereninsuffizienz, engl.: acute on chronic renal failure) auftreten.

Die Ursachen werden entsprechend dem Ort der Schädigung in prärenal, renal und postrenal eingeteilt. Die Schädigungsursache vor der Niere (prärenal) ist in erster Linie ein vermindertes Blutvolumen (Hypovolämie, z. B. bei Blutung oder Flüssigkeitsmangel) oder ein zu niedriger Blutdruck (Schock, Hepatorenales Syndrom). Renale Schädigungen, d.h. in der Niere selbst, können vielfältig sein. Hierzu gehören u.a. akute Glomerulonephritiden und Tubulointerstitielle Nierenerkrankungen aber auch Arzneimittelnebenwirkungen (Röntgenkontrastmittel). Postrenal liegt der Auslöser hinter der Niere im ableitenden Harntrakt. Als häufiges Beispiel sei der Harnverhalt mit Rückstau des Urins in die Nieren bei der gutartigen Vergrößerung der Prostata genannt.

Folgen sind Regulationsprobleme des Flüssigkeits-, Elektrolyts- und Säure-Basen-Haushalts sowie ein Verbleiben von Endprodukten des Eiweißstoffwechsels (u.a. Harnstoff) und anderen harnpflichtigen Substanzen (u.a. Kreatinin) im Organismus. Nachfolgend kann es zu einem lebensbedrohlichen Vergiftungszustand, der Urämie, kommen.

In Abhängigkeit von der Ursache kann eine intensivmedizinische Behandlung mit frühzeitiger vorübergehender Dialyse notwendig sein. Auch wenn die Prognose für die Wiederherstellung der Nierenfunktion ad integrum gut ist, kann das akute Nierenversagen durch Sekundärerkrankungen (z. B. Pneumonie) in ein häufig tödliches Multiorganversagen münden. Das Risiko des Übergangs in eine chronische dialysepflichtige Niereninsuffizienz hängt von der Ursache ab.

Definition und Stadieneinteilung

Klassifikation nach ICD-10
N17 Akutes Nierenversagen
N17.0 Akutes Nierenversagen mit Tubulusnekrose
N17.1 Akutes Nierenversagen mit akuter Rindennekrose
N17.2 Akutes Nierenversagen mit Marknekrose
N17.8 Sonstiges akutes Nierenversagen
N17.9 Akutes Nierenversagen, nicht näher bezeichnet
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Spektrum des akuten Nierenversagens reicht von einer minimalen Erhöhung des Serum-Kreatinins bis zum vollständigen Verlust der Nierenfunktion.

2004 wurden in einer internationalen Konsensuskonferenz die bis dahin bestehenden 30 unterschiedlichen Definitionen des akuten Nierenversagens durch eine einheitliche Definition und Stadieneinteilung ersetzt, die RIFLE-Kriterien. RIFLE ist ein Akronym und steht für Risk – Injury – Failure – Loss - ESRD (End Stage Renal Disease), übersetzt etwa: Risiko – Schädigung – Versagen (der Nieren) – Verlust (der Nierenfunktion) - Terminales Nierenversagen)[1]

Um dem breiten Spektrum des Krankheitsbildes gerecht zu werden, wurde 2007 der Begriff ‚akutes Nierenversagen‘ (Acute Renal Failure, abgekürzt ARF) in einer weiteren Konsensuskonferenz durch den Begriff ‚akute Nierenschädigung‘ (Acute Kidney Injury, abgekürzt AKI) ersetzt. Definition und Stadieneinteilung wurden gestrafft.[2]

Definition der akuten Nierenschädigung durch das Acute Kidney Injury Network (AKIN-Definition)[2]
Abrupte (innerhalb von 48 Stunden) Abnahme der Nierenfunktion, definiert durch
  • einen absoluten Anstieg des Serum-Kreatinins ≥ 0,3 mg/dl (≥ 26,4 µmol/l),
  • einen prozentualen Anstieg des Serum-Kreatinins ≥ 50 % (das 1,5-fache des Ausgangswertes) oder
  • eine Verminderung der Urin-Ausscheidung < 0,5 ml/kg/h über mehr als 6 Stunden.
Stadieneinteilung der akuten Nierenschädigung
RIFLE-Stadium[1] AKIN-Stadium[2] Serum-Kreatinin Urin-Ausscheidung
Risk 1 1,5- bis 2-facher Kreatininanstieg (RIFLE/AKIN) oder

Kreatininanstieg ≥ 0,3 mg/dl (AKIN)

<0,5 ml/kg/h für 6 h
Injury 2 2- bis 3-facher Kreatininanstieg <0,5 ml/kg/h für 12 h
Failure 3 > 3-facher Kreatininanstieg oder

Serum-Kreatinin > 4 mg/dl mit einem akuten Anstieg ≥ 0,5 mg/dl

<0,3 ml/kg/h für 24 h oder

fehlende Urinausscheidung (Anurie) für 12 h

Loss * Dauerhaftes Nierenversagen für > 4 Wochen
ESRD * Dauerhaftes Nierenversagen für > 3 Monate
*) Die RIFLE-Stadien „Loss“ und „ESRD“ werden als Spätfolgen der akuten Nierenschädigung in der AKIN-Stadieneinteilung nicht mehr berücksichtigt

Schwächen der neuen Definition und Stadieneinteilung sind:

  • der Zusammenhang zwischen den einzelnen Stadien und klinisch relevanten Endpunkten wie Mortalität oder Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie ist statistisch bislang noch unzureichend abgesichert,
  • die Stadieneinteilung geht nicht auf die Ursachen der akuten Nierenfunktionsverschlechterung ein,
  • und unterscheidet insbesondere nicht zwischen Nierenfunktionsverschlechterung aufgrund einer verminderten Durchblutung, einer Harnabflussstörung oder einer Schädigung des Nierengewebes.

Einteilung nach Ätiologie

Die Klassifizierung des ANV ist ätiologisch, also nach Ursachen orientiert[3].

Prärenales ANV

ANV bei prärenaler (d. h. der Niere vorgelagerter) Ursache. (Diese Klasse ist an sich noch kein Nierenversagen, da es hier noch nicht zu strukturellen Änderungen im Nierengewebe gekommen ist. Es droht aber ein ausgebildetes ANV.)

  • Volumenmangel (Blutverlust, Exsikkose)
  • zirkulatorisches ANV (sog. Niere im Schock, Schockniere), durch Verminderung der Durchblutung zum Beispiel bei Herzversagen
  • toxisch bedingtes ANV (Vergiftungen der Niere) mit Vasokonstriktion der zuführenden (afferenten) Gefäße, beispielsweise beim hepatorenalen Syndrom

Intrarenales ANV

  • Akute tubulointerstitielle Nephritis (Entzündung im Nierenmarkbereich)
    • allergische Reaktion (NSAR, Penicillin-Antibiotika)
    • parainfektiös (als Begleiterscheinung bei Infekten (CMV, EBV u.a.))
  • Akute Tubulusnekrose
    • toxisch
    • ischämisch (makrovaskuläre Ursache)
      • Strukturelle Schädigung bei Minderdurchblutung oder Schock (Schockniere)
      • embolisch
      • vaskulitisch, zum Beispiel Morbus Wegener
    • tubuläre Verstopfung zum Beispiel durch
      • Leichtkettenablagerungen in den Nierenkanälchen bei multiplem Myelom (Myelomniere) oder
      • Urate (Hyperurikämie)
      • Rhabdomyolyse
      • Hämolyse

Postrenales ANV

Der Niere nachgelagerte Ursachen durch Verlegung der ableitenden Harnwege (Harnleiter, Blase, Harnröhre) sind

  • beidseitige Obstruktion der Harnleiter im Rahmen von Abflussstörungen durch Harnleitersteine, Tumoren, Narbenverziehungen nach Operationen oder entzündliche Vorgänge,
  • Verlegung der Harnblase (beispielsweise durch Tumoren oder verstopfte Blasenkatheter) oder
  • Einengung der Harnröhre (beispielsweise durch Prostatavergrößerung, Tumoren oder fehlplatzierte Blasenkatheter).

Epidemiologie

Zur Epidemiologie des akuten und akut-auf-chronischen Nierenversagens existieren nur wenige Studien. In einer populationsbasierten Untersuchung in Schottland betrug die Inzidenz des akuten Nierenversagens 1811 Fälle pro Million Einwohner, die Inzidenz des akut-auf-chronischen Nierenversagens 336 Fälle pro Million Einwohner. Patienten mit akutem Nierenversagen waren im Median 76 Jahre alt, Patienten mit akut-auf-chronischem Nierenversagen 80,5 Jahre. Die RIFLE-Klassifikation erlaubte eine Prognose bezüglich vollständiger Reversibilität des Nierenversagens, Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie, Dauer des Krankenhausaufenthaltes und Krankenhaussterblichkeit, erlaubte aber keine Voraussage der Mortalität nach 3 oder 6 Monaten.[8]

Pathophysiologie und -genese

Hauptauslöser des ANV ist eine unzureichende Sauerstoffversorgung von Nierengewebe, in deren Folge es auf zellulärer Ebene zur Zerstörung funktioneller Zellen kommt.

Die primäre Schädigung erfasst die Tubuluszellen. Die hochaktiven Zellen bilden bei Schädigung hochvisköse Mukoproteinzylinder, die das Lumen der Tubuli verstopfen. Diese Obstruktion wird für den Ausfall der Nierenfunktion verantwortlich gemacht.

Ursachen

Im Grunde werden drei Ursachenkomplexe für das ANV beschrieben:

  • exogene oder endogene Gefäßverengung (Vasokonstriktion)
  • Sauerstoffmangel im engeren Sinne (Hypoxie, Ischämie)
  • Stoffe, die auf die Niere giftig wirken (Nephrotoxine)

Vasokonstriktion

Für die normale Nierenfunktion ist eine ausreichende Blutversorgung über die zuführenden Gefäße (vas afferens) wichtig. Nur so steht ein bestimmter Druck zur Verfügung (Filtrationsdruck), der in den Glomeruli für ausreichende Filtration von Primärharn sorgt (siehe Niere). Da die Niere über einen ausgeprägten Autoregulationsmechanismus (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System) verfügt, sind systemische Blutdrücke von 80 mmHg für eine normale Filtration ausreichend.

Die Stressreaktion, besonders in Form der Ausschüttung endogener Katecholamine, ist aber auch für den Funktionsverlust der Niere beim Kreislaufversagen mitverantwortlich. Unterschreitet der systemische Blutdruck einen Grenzwert, so bewirkt die sympathische Gegenregulation durch die Wirkung dieser Katecholamine am vas afferens einen weiteren Perfusionsausfall. Somit sinkt auch der Filtrationsdruck. Ein Abfall des Filtrationsdruckes um 10-15 mmHg kann zum Erliegen der Filtration und somit zu Anurie führen [2].

Außer den endogenen Katecholaminen wirken auch einige bei Sepsis und MODS freigesetzte Zytokine vasokonstriktorisch auf die Nierengefäße. Sie wirken somit nephrotoxisch (siehe auch unten unter Nephrotoxine).

Hypoxie und Ischämie

Hypoxie ist als Sauerstoffmangel, Ischämie als Missverhältnis von Sauerstoffangebot zu -bedarf definiert. Ursache können eine unzureichende Sauerstoffaufnahme durch den Organismus oder die oben genannte Vasokonstriktion sein.

Folge ist ein Abfall des Energieträgers ATP in den Zellen, sobald es den Nierenzellen nicht ausreichend gelingt, von aerober auf anaerobe Glycolyse umzustellen. Tubuluszellen haben diese Möglichkeit nur in extrem eingeschränktem Umfang, was ihren frühzeitigen Funktionsausfall begründet.

Eine Ischämiedauer von 25 min führt zu geringen und jederzeit rückbildungsfähigen morphologischen Veränderungen. Selbst Veränderungen nach 40-60 min Ischämie sind noch reversibel. Erst eine Sauerstoffschuld von zwei oder mehr Stunden bewirkt bleibende Veränderungen in Bau und Funktion der Niere. [2]

Nephrotoxine

Es gibt eine Reihe verschiedener endogener und exogener Substanzen, die nephrotoxisch wirken können.

Von endogener Seite sind die nach massiver Hämolyse und Muskelzelluntergang freigesetzten Eiweiße Hämoglobin und Myoglobin wesentlich, indem sie direkt auf die Tubuluszellen wirken. Die im Rahmen von MODS oder Sepsis freigesetzten Mediatoren wirken mehr indirekt über die Vasokonstriktion (siehe oben) nephrotoxisch.

Unter den zahlreichen exogenen Nephrotoxinen spielen die Aminoglykosid-Antibiotika (zum Beispiel Gentamycin) eine wesentliche Rolle, weshalb ihr Einsatz in nierengefährdenden Situationen (Schock, Nierenkrankheit) angepasst erfolgen muss. Ein weiteres Beispiel sind jodhaltige Kontrastmittel. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss ihr Einsatz im Einzelfall abgewogen werden.

Risikofaktoren

Unter den Risikofaktoren sind Merkmale aufgeführt, die die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines ANV erhöhen:

chronische Risikofaktoren: jahrelange arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Herz- und Nierenerkrankungen, höheres Lebensalter, Schmerzmittelmissbrauch (besonders Nichtopioid-Analgetika)

akute Risikofaktoren: Volumenmangel, ausgeprägte Hypotension (Blutdruckabfall), Infektion, Hämolyse (Freiwerden von Hämoglobin, siehe oben), Rhabdomyolyse (Muskelzerfall), akute Pankreatitis, intravasale Gerinnung, Therapie mit nephrotoxischen Pharmaka

Bei den komplexen Krankheitsbildern spielen Multi- und Polytrauma, Sepsis, Pankreatitis und Verbrennungskrankheit eine große Rolle. Wenn die Niere nicht schon betroffen sein sollte, dann stellt ein Multiorganversagen (MOV) eine allerhöchste Risikokonstellation für ein ANV dar.

Phaseneinteilung

Beim ANV werden klassisch vier Phasen unterschieden:

  1. Induktion
  2. Erhaltung
  3. Erholung
  4. Restitution

1. Induktion: Auftreten des schädigenden Ereignisses mit Abnahme der Nierendurchblutung, der glomerulären Filtration und die tubuläre Schädigung. In dieser Phase treten noch keine Symptome auf.

2. Erhaltung: Die Erhaltungsphase ist durch Oligurie geprägt. Hier werden die unten genannten diagnostischen Laborbefunde erhoben. Die Dauer beträgt Tage bis Wochen.

3. Erholung: Diese Phase ist polyurisch und dauert in der Regel nur Tage.

4. Restitution: Bei 80-90 % der Patienten kommt es im Verlauf von Monaten zu einer vollständigen Erholung der Nierenfunktion. Bei den verbleibenden Patienten ist mit Folgezuständen in Form einer chronischen Niereninsuffizienz zu rechnen.

Dieser klassische Ablauf wird in der modernen Intensivmedizin nur noch selten beobachtet, da vorbestehende Nierenerkrankungen und Multiorganversagen den Ablauf stark modifizieren.

Diagnose

Anamnese

Bei der Erhebung der Krankengeschichte muss im Sinne des ANV nach o.g. Risikofaktoren gesucht werden.

Status praesens

Bei der Statuserhebung muss nach Zeichen der Überwässerung oder der Dehydratation geforscht werden. Außerdem sind die Palpation der Nieren, der Blase und der Prostata wichtig.

Klinisch fallen in Notsituationen eine Hyperventilation, ein Foetor uraemicus sowie Schläfrigkeit bis hin zum Coma uraemicum auf.

Technische Befunde

Einfach zu bestimmen ist die Harnmenge je Zeiteinheit:

Anurie < 50-100 ml/24h
Oligurie < 500 ml/24h bzw. < 20 ml/h
Polyurie > 3000 ml/24h bzw. > 125 ml/h

Das akute Nierenversagen kann an-, oligo- oder polyurisch sein. Um die Exkretionsleistung der Niere einzuschätzen, werden die sog. Retentionswerte herangezogen, wobei es sich um die Konzentrationen von Harnstoff und Kreatinin im Serum handelt. Diese Substanzen, die Endprodukte des Eiweißstoffwechsels darstellen, wirken selbst nicht giftig. Harnstoff stört zwar den Stoffwechsel der Zelle, ist aber nicht die Ursache eines urämischen Syndroms. Giftig sind andere Abbauprodukte deren Konzentration mit Harnstoff korrelieren. Ihre Retention führt zur Urämie, womit die Elimination zwingend angezeigt ist. Diese Abbauprodukte können durch technische Nierenersatzverfahren (Dialyse, Hämofiltration) aus dem Organismus entfernt werden.

Harnstoff (HSt) ist Wert >25–33 mmol/l (>150–200 mg/dl) bei Olig-/Anurie oder >50 mmol/l (>300 mg/dl) bei Polyurie, so ist ein akutes Nierenversagen gesichert und es ist ein Nierenersatzverfahren angezeigt (Hämofiltration, Hämodialyse).
Kreatinin (Crea) tgl. Kreatinin-Anstieg >0,5–2 mg/dl ist Zeichen für Nierenversagen. Parameter gilt als unsicher. Besser ist die Kreatinin-Clearance, deren Abfall auf unter 5 ml/min die Indikation für ein Nierenersatzverfahren anzeigt.

Wichtig ist die Differentialdiagnose zwischen prärenalem und intrarenalem Nierenversagen[3]:

Prärenales ANV Intrarenales ANV
Urin-Osmolalität (mosmol) >500 <300
Urin-/Plasmaosmolalität >1,1 0,9–1,05
Urin-Natrium (mmol/l) <10 >30–40
FENa (%) <1 >1

Die fraktionelle Natriumexkretion (FENa) wird wie folgt errechnet[3]:

$ FE_{Na}={Urin_{Na}\times Serum_{Krea} \over Serum_{Na}\times Urin_{Krea}}\times 100 $

Differentialdiagnose

Tritt im Bereich der ableitenden Harnwege ein Leck mit Austritt von Urin in die Bauchhöhle auf (zum Beispiel infolge einer Blasenruptur), werden die harnpflichtigen Substanzen wieder in das Blut aufgenommen (Rückresorption). Trotz normaler Nierenfunktion steigen Harnstoff und Kreatinin an. Dieser Zustand wird als Pseudo-Nierenversagen bezeichnet.

Therapie

Ist ein ANV eingetreten, dann gibt es derzeit keine Therapieform, die den Verlauf wirksam unterbrechen könnte. Je nach Stadium der Erkrankung unterscheidet man

  • vorbeugende Therapie und
  • Therapie bei ausgebrochenem ANV.

Vorbeugende Therapie

Das Ziel besteht darin, so rasch wie möglich eine ausreichende Durchblutung der Niere mit ausreichender Sauerstoffversorgung des Nierengewebes wieder herzustellen. Wenn das gelingt, zeigt die Niere eine gute Tendenz zur Wiederaufnahme ihrer Funktion, andernfalls droht die Ausbildung eines manifesten Nierenversagens.

Die Akuttherapie ruht prinzipiell auf drei Säulen:

  1. Sicherstellung einer ausreichenden Nierendurchblutung durch Volumensubstitution,
    ggf. unter Kontrolle des zentralen Venendrucks (ZVD)
  2. Sicherung eines stabilen Kreislaufes, ggf. unter Zuhilfenahme von Katecholaminen (Dobutamin, Noradrenalin)
  3. Versuch mit Schleifen- oder Osmodiuretikum

Eine Sonderform ist das durch Röntgenkontrastmittel hervorgerufene kontrastmittelinduzierte Nierenversagen. Da in der Regel der Zeitpunkt der Kontrastmittelgabe im Voraus geplant werden kann, ist bei Risikopatienten eine Prophylaxe noch vor Eintritt der Nierenschädigung möglich.

Nierendurchblutung

Die Gefahr der Volumensubstitution liegt in der Volumenüberlastung des Kreislaufes mit der Folge einer Überwässerung der Lunge (Lungenödem, fluid lung). Der ZVD sollte auf 12 mmHg, der PCWP auf Werte von 15 mmHg eingestellt werden. In Abhängigkeit vom Elektrolytstatus usw. werden kristalloide Lösungen bevorzugt.

Kreislaufstabilisierung

Dobutamin gilt derzeit als das nierenschonendste Katecholamin. An anderer Stelle wird Noradrenalin empfohlen [2].

Die Gabe von Dopamin in sog. Nierendosis wird derzeit abgelehnt, da die kardialen Nebenwirkungen einerseits und das Ausbleiben von prognostischen Vorteilen andererseits eher Nachteile dieses Mittels erwarten lassen. In verschiedenen Studien konnte kein Vorteil bezüglich des Outcomes, Kreatininanstieg, Anzahl der Dialysebehandelten oder Dauer des Intensivaufenthaltes gezeigt werden. Dagegen wird jedoch eine Beeinträchtigung durch potentielle Nebenwirkungen postuliert.[9]

Diuretika

Diuretika (hier Schleifendiuretika) sind an sich nierenschädigende Medikamente. Außerdem kann ein Einsatz dieser Mittel zwar die Diurese ansteigen lassen, die Prognose des ANV wird aber nicht verbessert. Der Nutzen der Diuretika liegt allein in der verbesserten Bilanzierungsmöglichkeit, also darin, den Wasserhaushalt über einen gewissen Zeitraum noch steuern zu können.

Für Furosemid werden Dosierungen von 250 mg in einer Stunde propagiert. Wenn das nicht helfen sollte, werden bis 80 mg über 4 Stunden gegeben, bis eine Maximaldosis von 500 mg erreicht ist. Bei weiterer Erfolglosigkeit Abbruch der Furosemid-Behandlung.

Bei einem postrenalen Nierenversagen und bei Anurie ist dieser Therapieansatz streng kontraindiziert (abzulehnen).

Behandlung

Im Gegensatz zu Gehirn und Herz kann bei der Niere oft der Funktionsverlust nach einer ischämischen Episode mit Zelluntergang ausheilen. Der Sinn der Therapie bei ausgebrochenem ANV besteht darin, die Nierenfunktion durch Dialyse solange zu ersetzen, bis die Niere wieder funktioniert.

Hämofiltration, Dialyse

Diese Verfahren werden abgesehen von der Kreislaufstabilisierung und Verbesserung der Nierendurchblutung eingesetzt. Sie sind technisch so vereinfacht, dass sie zum therapeutischen Grundrepertoire der interdisziplinären Intensivmedizin gehören.

Behandlung bei postrenaler Ursache

Grundlegend ist die Beseitigung der Abflussstörung, entweder ursächlich oder durch Einlage von sog. Stents in die Harnleiter, um den Harnabfluss zu gewährleisten. Daneben werden o.g. Prinzipien verfolgt.

Prognose

Häufig ist die Erholung der Nierenfunktion nach einem akuten Nierenversagen nicht vollständig. So haben Menschen, bei denen aufgrund eines akuten Nierenversagens bereits einmal eine Dialysebehandlung erforderlich wurde, ein erheblich erhöhtes Risiko, im weiteren Verlauf ein fortschreitendes chronisches Nierenversagen zu entwickeln.[10][11][12]

Siehe auch

  • Chronisches Nierenversagen
  • Kontrastmittelinduziertes Nierenversagen

Literatur

J. Eckart, H. Forst, H. Burchardi: Intensivmedizin - Kompendium und Repetitorium zur interdisziplinären Weiter- und Fortbildung. 9. Auflage, ecomed, München 2004, ISBN 3-609-20177-0

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Rinaldo Bellomo et al.:: Acute renal failure – definition, outcome measures, animal models, fluid therapy and information technology needs: the Second International Consensus Conference of the Acute Dialysis Quality Initiative (ADQI) Group. In: Critical Care. Nr. 8, 2004, S. R204-R212 (Artikel).
  2. 2,0 2,1 2,2 Ravindra L Mehta et al.:: Acute Kidney Injury Network: report of an initiative to improve outcomes in acute kidney injury. In: Critical Care. Nr. 11, S. R31 (Artikel). Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „AKIN“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  3. 3,0 3,1 3,2 Gerd Herold: Innere Medizin. Köln 2007 (S. 566ff).
  4. J. S. Christo, A. M. Rodrigues u.a.: Nitric oxide (NO) is associated with gentamicin (GENTA) nephrotoxicity and the renal function recovery after suspension of GENTA treatment in rats. In: Nitric oxide : biology and chemistry / official journal of the Nitric Oxide Society. Band 24, Nummer 2, März 2011, S. 77–83, ISSN 1089-8611. doi:10.1016/j.niox.2010.12.001. PMID 21167952.
  5. T. Ichimura, C. C. Hung u.a.: Kidney injury molecule-1: a tissue and urinary biomarker for nephrotoxicant-induced renal injury. In: American journal of physiology. Renal physiology. Band 286, Nummer 3, März 2004, S. F552–F563, ISSN 1931-857X. doi:10.1152/ajprenal.00285.2002. PMID 14600030.
  6. R. A. Goyer: Mechanisms of lead and cadmium nephrotoxicity. In: Toxicology Letters. Band 46, Nummer 1–3, März 1989, S. 153–162, ISSN 0378-4274. PMID 2650022. (Review).
  7. A. Stacchiotti, E. Borsani u.a.: Dose-dependent mercuric chloride tubular injury in rat kidney. In: Ultrastructural pathology. Band 27, Nummer 4, 2003 Jul-Aug, S. 253–259, ISSN 0191-3123. PMID 12907370.
  8. Ali, Tariq et al.: Incidence and Outcomes in Acute Kidney Injury: A Comprehensive Population-Based Study. In: J Am Soc Nephrol. Nr. 18, 2007, S. 1292–1298 (Artikel).
  9. Bellomo et al. Lowdose dopamin in patients with early renal dysfunction: a placebo-controlled randomized trial. Australian and New Zealand Intensiv Care Society (ANZICS) clinical trials group. Lancet 2000, 356:2139–2143
  10. Ron Wald, et al.: Chronic dialysis and death among survivors of acute kidney injury requiring dialysis. In: JAMA: The Journal of the American Medical Association. 302. Jahrgang, Nr. 11, 16. September 2009, ISSN 1538-3598, S. 1179–1185, doi:10.1001/jama.2009.1322 (nih.gov [abgerufen am 7. Dezember 2010]).
  11. Lowell J Lo, et al.: Dialysis-requiring acute renal failure increases the risk of progressive chronic kidney disease. In: Kidney International. 76. Jahrgang, Nr. 8, Oktober 2009, ISSN 1523-1755, S. 893–899, doi:10.1038/ki.2009.289 (nih.gov [abgerufen am 7. Dezember 2010]).
  12. Areef Ishani, et al.: Acute kidney injury increases risk of ESRD among elderly. In: Journal of the American Society of Nephrology: JASN. 20. Jahrgang, Nr. 1, Januar 2009, ISSN 1533-3450, S. 223–228, doi:10.1681/ASN.2007080837 (nih.gov [abgerufen am 7. Dezember 2010]).

Weblinks

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